Wie sind Naturweine zu erkennen?

natural wine, naked wine, raw wine - let´s get naked!

WEINWISSEN FÜR DICH

Was denn hier los? Plötzlich schmücken zum Teil echt crazy Etiketten und (leicht) trübe Weine die Weinregale und Gastrotische. Wie aus dem Nichts, entsteht ein Hype um naturtrübe Weine. Bezeichnungen wie Naturwein, naked wine, raw wine, artisan wine und Andere die mir nicht auf Anhieb einfallen wollen, sind in aller Munde. Ist das eine Rebellion gegenüber industriell erzeugten Produkten? Optisch und geschmacklich zum Teil anders. Manchmal ungewöhnlich, überraschend, nie langweilig. Auf jeden Fall sorgen die Weine am Tisch für Gesprächsstoff. An was erinnert mich dieser Duft bloß? Alle Nasen sind ins Weinglas getaucht. Das zu beobachten und daran teilzunehmen hat etwas tranceähnliches und erfreuliches zugleich. Endlich wird die Angst vor der »Weinsprache« in Gruppen gebrochen. Keiner fühlt sich auf irgendeine Weise unwissend oder unterlegen. Alle sitzen im selben Boot. Naturweine schaffen das, was die etepetete Weinbranche nie wirklich umsetzen konnte: Menschen jeder Art zusammenbringen ohne snobby Beigeschmack und Angst vor Entblößung. Wein verkosten macht Spaß!

Winzer, die Naturweine produzieren, lassen bewusst Arbeitsschritte im Weinberg und im Weinkeller aus. Grundlage bildet hier oft die biologische Bewirtschaftung. Kurz und knapp: BEI NATURWEIN KOMMEN KEINE SYNTHETISCHEN MITTEL ZUM EINSATZ UND WÄHREND DER GÄRUNG WIRD NICHTS ENTZOGEN UND NICHTS HINZUGEFÜGT. 

folgende Weine KÖNNEN Naturweine sein:

  • bio(dynamische) Weine
  • Orangeweine
  • Petillant Naturel Weine
  • Weine ohne Schwefelzusatz
  • in Amphoren ausgebaute Weine
  • Weine ohne Zusätze (keine Zucht-Hefe, Filtration, Anreicherung)

»Naturwein« ist in im Weingesetz nicht verankert und somit kein geschützter Begriff.

Die französische „Master of Wine“ Isabelle Legeron (2014) definiert diese folgendermaßen: „Natural Wines sind Weine, welche biologisch oder biodynamisch hergestellt und manuell geerntet werden. Außerdem sollten sie mit keinen oder möglichst wenigen Zusatzstoffen produziert und es sollten auch keine wertvollen Stoffe mittels Filtration oder anderen Techniken aus dem Wein entfernt werden. Im Grunde ist Natural Wine ein unberührter, fermentierter Traubensaft, wie die Natur das wollte.“

Im Weinkeller selbst, wird bewusst auf das Impfen von industriellen Reinzuchthefen (Saccharomyces cerevisiae) verzichtet, die für ein sicheres Durchgären des Weines sorgen. Schließlich ist das ein unnötiger Eingriff im Wein. Es geht darum, dass die natürlichen, wild vorkommenden Hefen, die im Weinberg leben und im Keller existieren, die Gärung selbständig einleiten. Darum ist besonders gesundes Lesegut und ein niedriger pH-Wert (kleiner 3,4) Voraussetzung für ausreichend »gute« Hefen.

Naturweine aus Galizien

Spontangärung und Verzicht auf Filtration

Naturweine sind spontan vergoren

Bei einer Spontangärung herrschen Hefestämme in unterschiedlicher Anzahl vor. Jeder Hefestamm trägt während des Gärprozesses zur Aromabildung bei.  Daran sind wesentlich die Nicht-Saccharomyces-Hefen beteiligt, die für einen spannenden Charakter sorgen.

Bei einer Spontangärung sind Wildhefen (Nicht-Saccharomyceten) und Saccharomyceten während der alkoholischen Gärung vertreten. Da die Anzahl der Hefestämme von vielen Faktoren (Umgebung, Witterung, Traubenqualität, Mostbehandlung etc.) abhängig ist, besteht jedes mal eine neue Zusammensetzung der Hefen. Klar ist, das es Hefen gibt, die eine geringere Toleranz gegenüber Alkohol und höheren Temperaturen aufweisen und irgendwann ihre Aktivität während der Gärung einstellen und dann die Gefahr besteht, das der vorhandene Zucker nicht vollständig zu Alkohol und Kohlensäure vergoren wird. Doch der/die Winzer:in weiss dies zu verhindern. Die dominanteste Hefe unter ihnen ist auf jeden Fall die der Gattung Saccharomyces.

Unfiltrierte Weine sind intensiver im Geschmack

Die natürliche Klärung durch Sedimentation ist eine schonende Variante der Filtration. Allenfalls wird ein erster Abstich (Entfernung des Trubes) vorgenommen, um die Grobhefe vom Wein zu trennen. 

Die Entscheidung ob eine Filtration erfolgt, ist aber auch eine Frage des Endproduktes oder der mikrobiologischen Stabilität des Weines. Ein rasch konsumierbarer Weißwein wird zügig filtriert und auf den Markt gebracht, um die Nachfrage zu decken. Das wäre aber nicht im Sinne eines Naturweines.

Naturweine aus der Provence

unfiltrierte Weine haben einen natürlichen Oxidationsschutz

Wer nicht filtriert, braucht ausreichend Platz im Keller, bis sich die Weine natürlich klären und stabilisieren. Dieser Mehraufwand und das regelmäßige Prüfen ist mit Mehrkosten verbunden. Des Weiteren dient das Einbehalten der Feinhefe als Oxidationsschutz und schützt den Wein vor Einwirkung des Sauerstoffs. Denn wird die Feinhefe entfernt, beginnt der Sauerstoff mit den Weininhaltsstoffen zu reagieren. Danach ist eventuell der Einsatz von Schwefel notwendig. Jedoch soll an dieser Stelle kenntlich gemacht werden, dass Schwefel an sich nicht verteufelt wird. Der Schutz vor Oxidation des Weines und somit Braunfärbung hat Vorrang. Denn zu einem Glas Essig wurde noch niemand eingeladen. 

Die Zugabe von Schwefel wird in Verbindung mit Wein zu Schwefeldioxid (SO₂) und liegt als schwefelige Säure (H2SO3) im Wein vor. Schwefel beeinflusst je nach Dosis den Geschmack des Weines und das Aroma. Zudem wird bei Schwefel unterschieden, ob es sich um freien Schwefel oder gebunden Schwefel handelt. Warum? Der gebundene Schwefel kann sensorisch nicht wahrgenommen werden, jedoch der freie der vor Oxidation schützt. Wenn der/die Winzer:in den Schwefel auf der Flasche angibt, ist die Rede von freiem Schwefel der zugesetzt wird.

Gesundes Lesegut braucht keinen Schwefel

Der Bedarf von Schwefel ist eingeschränkt, wenn es sich um gesundes Lesegut und einen passenden pH-Wert (Kombination aller vorhandener Säuren) handelt. Schwefel ist für eine mikrobielle Stabilität verantwortlich und schützt somit den Wein vor Oxidation. Das heißt, der Wein kommt nicht mit Sauerstoff in Berührung.

Jeder Wein enthält natürlichen Schwefel

Schwefel wird bereits in geringer Menge durch die Aktivität der Hefe als Nebenprodukt selbst produziert. Denn genau genommen gibt es keine schwefelfreien Weine. Sobald mehr als 10 mg/l SO₂ im Wein vorhanden sind, muss der Wein mit der Bezeichnung “enthält Sulfite” bezeichnet werden.

Naturweine aus dem Dão

Authentischer Geschmack

aromatische Reinheit ohne Schwefel

Was machen Naturwein Produzenten? Ungeschwefelte Weine oder gering Geschwefelte sind intensiver in der Farbe und besitzen ein ausgeprägteres Gäraroma. Die aromatische Reinheit und der Terroir-Stempel tritt ohne die zusätzliche Gabe von Schwefel besser zum Vorschein. Dieser Gedanke wird gerne bei Naturweinen aufgenommen. Während der Lese wird jede einzelne faule Beere entfernt, um im Anschluss nicht schwefeln zu müssen. Bei Naturwein erfolgt eventuell eine geringe Schwefeldosis, kurz vor der Abfüllung, für die sensorische Stabilität. Das wars dann auch.

Die Stabilität und Langlebigkeit bringt mich auf den biologischen und biodynamischen Weinbau. Dazu mehr im Blogbeitrag: Bio(dynamischer) Weinbau.

dauerhafter Trend?

Naturweine kommen nicht von ungefähr. Auch wenn nur mit Zutun des Winzers aus Trauben Wein entstehen kann und der Begriff »Naturwein« nicht optimal gewählt ist. Es herrscht in der Gesellschaft vermehrt ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Ursprünglichkeit. Man möchte wieder mehr zur Herkunft und Verarbeitung der Weine erfahren, sowie der Überzeugung des Produzenten lauschen. Ein Stück »Naturbelassenheit« bzw. »Naturnähe« wird zum Greifen nah. Der Winzer vereint Wissen und Bauchgefühl. Gibt den Weinen Zeit. Gerade Produzenten mit kleinen Mengen, können nach eigener Überzeugung tätig sein und sich so selbst verwirklichen. Die Reintönigkeit eines Weines, die autochthonen Rebsorten, sowie das Terroir haben gegenüber Massenware Vorrang. Die Individualität wird gelebt und zelebriert.

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